ded-freundeskreis e.V.


Dr. Ludgera Klemp

Gänsehautmomente im „Touristenparadies“ Kambodscha

Über das kollektive und moralische Reparationsprojekt „Pka Sla“ für die Opfer von Zwangsverheiratungen unter der Schreckensherrschaft der Khmer Rouge.

Pka Sla Generalprobe
Foto Adelbert Eberhardt, Pka Sla Generalprobe

Vorwort
Während meiner Tätigkeit als Referentin für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Wz-1) an der Deutschen Botschaft in Phnom Penh (Juli 2014- Dezember 2017) hatte ich die Möglichkeit, die Arbeit des ECCC (Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia) aus der Nähe zu beobachten und mich zusammen mit anderen um die Finanzierung von Reparationsprojekten für die Opfer der Schreckensherrschaft der Khmer Rouge zu bemühen. Mein besonderes Engagement galt einem kollektiven und moralischen Reparationsprojekt für die Opfer von Zwangsverheiratungen (forced marriage). Eingebettet war das Reparationsprojekt in übergeordnete Prozesse, die letztlich auch zur Verurteilung von Zwangsverheiratungen als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ durch den ECCC führten.

Diese Bemühungen fanden in enger Zusammenarbeit mit dem Botschafter, Joachim Freiherr Marshall von Bieberstein statt, der die Beiträge des Auswärtigen Amtes zum ECCC koordinierte, in Abstimmung mit dem BMZ, der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), dem Zivilen Friedensdienst (ZFD), den Kolleg*innen der EU, USAID, JICA (Japan International Cooperation Agency) und der DEZA (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, Schweiz).

  1. Der ECCC lässt erstmals in der Geschichte internationaler Strafjustiz Opfer als Nebenkläger*innen zu

    Mehr als 1.7 Millionen Menschen - fast jeder vierte Kambodschaner*in - fielen der Schreckensherrschaft der Khmer Rouge (17. April 1975 - 6. Januar 1979) zum Opfer. Menschen starben an Hunger, Krankheiten, Zwangsarbeit in den Arbeitslagern, Folter und Hinrichtungen. Im Juni 2003 beschlossen die Vereinten Nationen (VN) und die kambodschanische Regierung die Einsetzung eines hybriden Strafgerichtshofes, des sog. ECCC – ein in die Gerichte Kambodschas eingebettetes Sondergericht (vergleichbar mit Sierra Leone) unter Berücksichtigung der Gerichtsbarkeit der VN und des dem Völkerrecht untergeordneten kambodschanischen Rechts. Hybridtribunal bedeutete den Einsatz und die enge Zusammenarbeit von nationalem und internationalem Personal auf allen Ebenen (Anwält*innen, Richter*innen, Untersuchungs- und Verwaltungspersonal).

    Mit Unterstützung der VN und Förderung durch UNAKRT (United Nations Assistance to the Khmer Rouge Trials) sowie freiwilliger Mitgliederbeiträge und den Beiträgen der kambodschanischen Regierung sollte der ECCC mit seiner internationalen Zusammensetzung universelle Standards der Strafjustiz gewährleisten und den Aufbau einer unabhängigen, transparenten Justiz im Land fördern

    Den Gerichtsstatuten folgend wurden nur wenige hauptverantwortliche Spitzenfunktionäre der Khmer Rouge angeklagt. Die Anklage bezog sich auf Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Im November 2007 begann das Gericht mit seiner Arbeit und nahm wegen des eingeschränkten Mandats nur fünf Spitzenfunktionäre in Haft:

    Nuon Chea - Bruder Nummer zwei und Pol Pots Chefideologe. Nuon Chea verstarb im August 2019.

    Khieu Samphan - ehemaliger an der Sorbonne (Paris) promovierte Staatschef des „Demokratischen Kampuchea“ und Chef der kommunistischen Partei. Von den Hauptangeklagten lebt heute nur noch er - in einem Sondergefängnis auf dem ECCC-Gelände im Westen der Hauptstadt Phnom Penh.

    Kaing Guek Eav (genannt Duch) Leiter des berüchtigten Gefängnisses für Verhöre und Exekutionen Tuol Sleng - heute als Foltergefängnis bzw. Genozidmuseum benannte Erinnerungsstätte.

    Ieng Sary, Außenminister und Ieng Thirith, ehemalige Sozialministerin verstarben während des Prozesses und Kaing Guek Eav im September 2020.

    Nicht angeklagt wurde Pol Pot, der politische und militärische Führer der Khmer Rouge (Bruder Nummer eins) und ehemaliger buddhistischer Mönch (Scholl-Latour 1979: 434). Er starb 1989 - entmachtet und krank unter Hausarrest.

    Im Unterschied zu den vom Sicherheitsrat der VN eingesetzten Strafgerichtshöfen (Ruanda und ehemaliges Jugoslawien) wurden am ECCC Opfer der Khmer Rouge auf Antrag als zivile Nebenkläger*innen zugelassen. An den beiden internationalen Strafgerichtshöfen standen die Opfer im Hintergrund der Gerichtsverfahren. Als Nebenkläger*innen verfügen sie im ECCC hingegen über das Recht, die Gerichtsverfahren zu verfolgen und vom Gericht kollektive und moralische Reparationsprojekte einzufordern. Individuelle Wiedergutmachung wurde vom ECCC ausgeschlossen. Von den nahezu 4.000 registrierten Nebenkläger*innen sind einige bereits gestorben oder können aus Alters- und Krankheitsgründen nicht mehr an Maßnahmen rund um den ECCC teilnehmen.

    Die Nebenkläger*innen wurden ab 2008 von einem offiziellen Organ des ECCC, der sog. Victims Support Section (VSS), betreut. Die Gründung folgte den „Römer Statuten“ (1998) und den „Basic Principles of Reparation and Remedy of Gross Violations of International Human Rights…. (2005), nämlich die Einrichtung eines offiziellen Gerichtsorgans für die Betreuung der Nebenkläger*innen und Implementierung von Reparationen vorzusehen. Die VSS/ECCC ist auch für die Koordinierung und Implementierung der außergerichtlichen Reparationsprojekte zuständig, über die das Gericht dann entscheidet. Weiterhin organisiert die VSS/ECCC die Teilnahme von Nebenkläger*innen an den Gerichtsverfahren, führt Workshops in und außerhalb von Phnom Penh durch, um über die Prozesse am ECCC zu berichten und sich ihren Fragen zu stellen. Bei wichtigen Ereignissen und Anlässen stehen den beteiligten Opfern und Nebenkläger*innen psychologisch ausgebildetes Personal von TPO (Transcultural Psychosocial Organisation) zur Seite. Die Betreuung und Begleitung von Nebenkläger*innen ist im Kontext internationaler Strafjustiz einmalig. TPO arbeitet mit kulturell angepassten (z.B. kultursensible Traumatherapie) und rechtsbasierten Methoden und versucht die Opfer vor weiteren seelischen Belastungen zu bewahren und ihre Resilienz im Umgang mit Trauer und Traumata zu stärken. Opfer, Frauen wie auch Männer, die noch gegenwärtig an posttraumatischen Störungen leiden und oft in ihren Dörfern stigmatisiert sind und diskriminiert werden.

    Auch im Rahmen von buddhistischen Zeremonien wurde die Vergangenheit aufgearbeitet, um Heilungsprozesse zu unterstützen, seelisches Leid zu mindern und Frieden mit den unter den Khmer Rouge verstorbenen Familienmitgliedern zu finden. Nach buddhistischen Vorstellungen ist es wichtig, Verstorbene nach traditionellen Riten zu beerdigen. Auf den „killing fields“ fanden keine Rituale statt. Mönche wurden ebenfalls von den Khmer Rouge verfolgt und ermordet. Daher haben die überlebenden Mönche die notwendige Sensibilität gegenüber den Opfern aufgebracht und konnten diese an die jüngere Generation weitergeben.

  2. ECCC stellt Zwangsverheiratungen auf gleiche Stufe mit anderen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“

    Im Prozess (Fall 002/02) gegen Nuon Chea und Khieu Samphan erkannte der ECCC das Tanzdrama „Pka Sla“ neben weiteren 18 Projekten als kollektives und moralisches Reparationsprojekt an. Davon wurden 9 Reparationsprojekte durch den ZFD/GIZ und seine Partnerorganisationen ermöglicht. Die zahlreichen Anklagepunkte gegen Nuon Chea und Khieu Samphan schlossen Zwangsverheiratungen und Vergewaltigungen als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ ein – einem im Völkerrecht festgelegten Straftatbestand (Londoner Charta, 8. August 1945). Damit stellte der ECCC die von den Khmer Rouge durchgeführten Zwangsverheiratungen auf gleiche Stufe mit Mord, ethnischer Ausrottung, Versklavung und anderer unmenschlicher Akte gegen die zivile Bevölkerung („ausgedehnte oder systematische Angriffe gegen die Zivilbevölkerung“). Die Anzahl der zwangsverheirateten Frauen wird auf mindestens 200.000 geschätzt.

    Mit den Zwangsverheiratungen verfolgten die Khmer Rouge den Aufbau einer gleichgeschalteten, klassenlosen bäuerlichen Gesellschaft und auf Bevölkerungswachstum. Eine neue Generation sollte die dezimierte Bevölkerung ersetzen und gehorsam der Ideologie und den Anweisungen des engeren Zirkels der Khmer Rouge (à.ng-ka - übersetzt die Organisation) einer Art Politbüro folgen.

    Die alte Gesellschaftsordnung sollte abgeschafft (Abschaffung von Familie, Privateigentum, Geld, Bildung, Kunst, Religion, etc.) und zugleich der „neue Mensch“ (new people) erschaffen werden: „Einen Menschen, nur noch ausgerichtet auf seine Grundbedürfnisse – und seine Partei“ (Follath 2010: 27). Die Familie galt nichts mehr und wurde durch die kommunistische Partei und die „Organisation“ Angkar ersetzt.

    Zwangsverheiratungen fanden in „fünfminutigen“ Massenveranstaltungen statt, in denen hunderte von Paaren willkürlich zusammengeführt wurden: Khmer Buddhisten mit Khmer Muslimen; Mitglieder verschiedener ethnischer Minderheiten (Cham, Vietnamesen, Chinesen), Akademiker*innen und Intellektuelle mit der einfachen Landbevölkerung, Kriegsveteranen und Kriegsversehrte mit jungen Mädchen und der LGBTQI Bevölkerung (lesbian, homosexual, bisexual, transgender, querr, intersexual; Poluda 2019).

    Die Paare waren sich fremd und jeder Widerstand gegen die Zwangsverheiratung führte zu erneuter Gewalt oder in den Tod. Oftmals waren die Opfer bereits verheiratet, lebten jedoch zwangsweise getrennt von ihren Familien. Kinder wurden ihren Familien entrissen, um sie entsprechend der kommunistischen Ideologie umzuerziehen. Sie sollten der „Revolution“ dienen. Die großen Städte, insbesondere Phnom Penh wurden von den Khmer Rouge evakuiert, um ihre Ideologie landesweit mit Gewalt durchzusetzen und die gebildeten und „verweichlichten“ Bevölkerungsschichten zu zerschlagen.

    Im Fall 002/02 wurde Zwangsverheiratung einschließlich des erzwungenen Vollzugs des Geschlechtsverkehrs (at the gunpoint Braaf 2014: Xii), Vergewaltigungen (auch vor Exekutionen) Ausbeutung und Sklaverei, Verstümmelung der Sexualorgane und erzwungene Nacktheit in das Urteil aufgenommen. Am 16.November 2018 werden Nuon Chea und Khieu Samphan wegen Genozid, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (einschließlich Zwangsverheiratungen) für schuldig gesprochen und zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Mit der Verurteilung von Zwangsverheiratung als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ schrieb der ECCC das Völkerrecht fort. Die Verurteilung war historisch und nicht nur für die internationale Strafjustiz bahnbrechend, sondern natürlich auch für die Nebenkläger*innen von immenser Bedeutung.

  3. Genderbasierte Studien und Recherchen zu Zwangsverheiratungen unterstützen Gerichtsverfahren

    Über Zwangsverheiratungen wurde lange Zeit geschwiegen. Sie blieben weitgehend tabu und in der Kriegsberichtserstattung und den ersten politisch-historischen Analysen des Bürgerkriegs unerwähnt. Das lag auch daran, dass Zwangsverheiratungen mit arrangierten Ehen gleichgesetzt wurden. Jetzt liegen zahlreiche Studien vor, die „Licht“ in dieses unmenschliche Kapitel gebracht und zur Wahrheitsfindung beigetragen haben (u.a. de Langis, Braaf, Poluda)

    Der ECCC wies Argumente der Verteidigung zurück, dass Zwangsverheiratungen auf arrangierte Ehen in Friedenszeiten zurückzuführen sind. Arrangierte Ehen fanden oft im Einverständnis der Familie und auch Paare statt (alignment with the parties) und wurden nur in Ausnahmefällen unter Anwendung von Zwang durchgeführt. Zwangsverheirate Frauen nahmen sich aus Verzweiflung das Leben. Nach Ende des Khmer Rouge Regimes trennten sich etwa 70% der Paare (Poluda 2019). Zurück blieb auch eine hohe Anzahl von Haushalten und Familien, die allein von Frauen geführt wurden. Einige Verbindungen überdauerten das Khmer Rouge Regime und Paare holten eine traditionelle Hochzeitszeremonie mit Teilnahme von Familie und spirituellen Anrufung der Ahnen nach (de Langis 2014).

    In das Urteils gingen die Ergebnisse von Studien zahlreicher kambodschanischer und internationaler Wissenschaftler*innen zum Thema der Zwangsverheiratungen, die in der einschlägigen Literatur der 80er und 90er Jahre kaum Erwähnung finden. Sie sprachen mit Opfern und Nebenkläger*innen, teilweise in Anwesenheit von TPO, über die „Kultur“ des Missbrauchs und der Vergewaltigung der Khmer Rouge. Ihre Zeugnisse brachen das Schweigen und drangen im Rahmen von Medienberichten und Begleitmaßnahmen (Ausstellungen, Veranstaltungen) immer stärker in die Öffentlichkeit. Mit der Herstellung von Öffentlichkeit über Ausmaß und Folgen von Zwangsverheiratungen veränderte sich die Wahrnehmung und das damit verbundene Leid der Opfer. Noch heute leiden viele unter posttraumatischen Störungen.

    CEDAW (Convention to Eliminate Discrimination Against Women) der VN empfahl dem Gericht im Urteil für die Opfer von Zwangsverheiratungen Reparationen und psychologische Unterstützung vorzusehen. Meilenstein war auch die Resolution 1325 des Sicherheitsrates der VN zu „“Frauen, Frieden und Sicherheit“ (Oktober 2000), die u.a. sexuelle Kriegsgewalt ächtet.

  4. ECCC akzeptiert „Pka Sla“ als kollektives und moralisches Reparationsprojekt für die Opfer von Zwangsverheiratungen

    Das Tanzdrama „Pka Sla“ wurde als kollektives und moralisches Reparationsprojekt von Nebenkläger*innen dem ECCC vorgeschlagen und vom ihm akzeptiert. Die Uraufführung fand am 20. Januar 2017 im berühmten Chaktomuk-Theater statt, eines der Wahrzeichen von Phnom Penh. Der Name steht für den Kreuzpunkt der in Phnom Penh zusammenfließenden drei Ströme – dem Bassac, Mekong und Tonle Sap. Architekt ist der bekannte kambodschanische Architekt Vann Molywann, Begründer der „Neuen Khmer Architektur“ (1955-1970), der ebenfalls das „Independence Monument“ als Symbol der Unabhängigkeit von Frankreich1958 erbaute. Ein prominenter Ort.

    Im Mittelpunkt des Tanzdramas steht die erzwungene und „religionsfreie“ Verheiratung von sich fremden Personen. „Pka Sla“ steht für den kambodschanischen Namen der Bethelpflanze. Mit ihrer Symbolkraft ist die Pflanze bei traditionellen und buddhistisch geprägten Hochzeitszeremonien präsent und vergleichbar mit der Rolle von Verbundenheit symbolisierenden Eheringen in anderen Kulturen. Für das Brautpaar symbolisiert die Pflanze Glück und Wohlstand. Das Tanzdrama begeistert durch die Kombination von eigens dafür komponierter Musik (von Him Sophy), die mit traditionellen Instrumenten (Xylophone, Oboe, Trommeln) gespielt wird, und einer eindrucksvollen Choreographie (von Sophiline Cheam Shapirio).

    Traditionell erzählt der klassische Tanz Geschichten. In Pka Sla wird die Geschichte eines älteren Kriegsveteranen erzählt, der in den kriegerischen Auseinandersetzungen sein Augenlicht verlor, und mit einer jungen Frau zwangsverheiratet wird. Auf dem Weg zu der ihnen zugewiesenen Schlafstätte stößt die junge Frau den Mann in ein Wasser, in dem er ertrinkt. Die junge Frau wird zur Strafe hingerichtet. Nach dem Tod der beiden begegnen sich ihre Seelen und tauschen sich über das jeweils erlittene Leid und die Verzweiflung aus. Der spirituelle Kontakt ermöglicht der jungen Frau, über die erfahrene und traumatisierende Gewalt und Vergewaltigung zu sprechen. Der Dialog im Jenseits führt zur Öffnung der beiden Seelen und zu gegenseitiger Empathie hinsichtlich des von den Khmer Rouge jedem der beiden zugeführten Leid.

    Die Inszenierung fand in düsterer Atmosphäre und karger Bühnenausstattung statt. Die dreizehn Tänzerinnen waren mit schlichten schwarzen Kostümen bekleidet. Die Khmer Rouge setzten die Farbe Schwarz und einheitliche Kleidung für die Bevölkerung durch. Die Funktionäre der Khmer Rouge trugen zusätzlich und als Symbol ihrer Herrschaft ein rotes Halstuch. Nichts konnte das Publikum ablenken von der Konfrontation mit dem dunkelsten Kapitel der kambodschanischen Geschichte.

    Uraufführung
    Foto Thomas Trümper, Uraufführung Januar 2017

    Eine Szene zeigt eine traditionelle und nach buddhistischen Riten gefeierte meist zweitägige Hochzeit, an der die Familie, und die Dorfgemeinschaft teilnehmen und die Ahnen mit karmischer Wirkung angerufen werden. Die Bethelpflanze spielt eine wichtige Rolle. Braut und Bräutigam sind in farbenprächtige und kostbare Stoffe gekleidet. Nach einem dramaturgischen Spannungsbogen handelt die Szene von der Befreiung und Hoffnung der Menschen. Insbesondere für die jüngere kambodschanische Generation wurde die Möglichkeit geschaffen, sich im Kontext dieser herausragenden künstlerischen Darstellung mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen.

  5. Deutsche Entwicklungszusammenarbeit „aus einem Guss“ in einer besonderen Art und Weise

    GIZ/ZFD waren seit 2001 im Rahmen der ersten Phase (2001-2006) mit Aktivitäten u.a. in den Bereichen zivile Konfliktlösung, Kleinwaffenreduzierung, Demokratieförderung, Bekämpfung geschlechterspezifischer Gewalt im Land tätig. Aufgrund der in der ersten Phase gemachten Lernerfahrungen wurde in der zweiten Phase (2007-2014) eine einheitliche Strategie mit Fokus auf das Geschehen am ECCC konzipiert. Aufbauend auf der Überzeugung, dass Versöhnung und einem ehrlichen Umgang mit der gewaltsamen Vergangenheit des Khmer Rouge Regimes wichtige Voraussetzungen für nachhaltigen sozialen Frieden und die langfristige Stabilität in Kambodscha sind. Gemeinsam mit dem Partner ECCC haben BMZ und GIZ/ZFD die Zusammenarbeit in den folgenden Bereichen festgelegt: Outreach und Bildung, Opferbeteiligung (im ECCC-Kontext), seelische Gesundheit, Gedenken und Versöhnung. Umgesetzt wurde Pka Sla von anerkannten und spezialisierten NROs als Partnerorganisationen:

    • Khmer Arts Academy: Choreographie des Tanzdramas Phka Sla in Zusammenarbeit mit dem Komponisten

    • Kdei Karuna: Erstellung mobiler Ausstellungen auf Basis der Konsultation von Nebenkläger*innen (oral history collection) landesweite Verbreitung von Pka Sla durch Vorführungen und Ausstellungen mit anschließenden Gesprächsrunden,

    • TPO (Transcultural Psychosocial Organization): psychosoziale und therapeutische Betreuung der Opfer

    • Bophana Audiovisual Research Center: Film/Video und Dokumentation und mediale Verbreitung.

    Unter Leitung und Koordinierung der VSS/ECCC wurden in allen Bereichen aufeinander abgestimmte Maßnahmen erarbeitet. Die Beteiligung von Opfern und ihre psychosoziale Betreuung waren beispielhaft gewährleistet. Einige Opfer von Zwangsverheiratungen waren bei den Aufführungen von Pka Sla anwesend, um aktiv am Rahmenprogramm teilzunehmen.

    Adelbert Eberhardt, ehemaliger Landesdirektor der GIZ in Kambodscha, erinnert sich: „Nach der Zusammenführung der EZ-Organisationen (GTZ, DED, InWEnt), eröffnete sich die Möglichkeit diese EZ-Instrumente "aus einem Guss" einzusetzen. Sämtliche Vorhaben der drei Organisationen wurden mit dem AA und BMZ abgestimmt und koordiniert. Als Landesdirektor der GIZ setzte ich mich für die Vereinheitlichung der drei vorhandenen Projektansätze ein. In Abstimmung mit dem Partner ECCC haben wir die Vorhaben zu einem Programm zusammengeführt. Damit konnten wir gegenüber dem Partner mit einem einheitlichen Programm auftreten, das auch so wahrgenommen wurde. Dieser Programmvorschlag wurde vom AA und BMZ begrüßt, da er auf Synergieeffekte und Breitenwirksamkeit zielte. Auf dieser Grundlage konnte der deutsche Botschafter auf nationaler Ebene und im Geberkreis überzeugend agieren“.

    Da die VSS/ECCC über kein Budget für die Realisierung von Reparationsprojekten verfügt, mussten Gelder von internationalen Gebern eingeworben werden. Wichtige Geber war u.a. JICA aus Japan, UN-Women und der UN-Trust Fund to end Violence against Women (UNTFVAW).

    Im Urteil vom 7. August 2014 des ECCC (Fall 002/01) wurden die folgenden elf Reparationsprojekte den Nebenkläger*innen zugesprochen (Gesamtbudget ca. USD 800.000), darunter neun Projekte mit Beteiligung von ZFD Partnerorganisationen bzw. durch ZFD-Finanzierung. Unter anderem:

    • Bildung von Selbsthilfegruppen und kulturell angepasster Therapien unter Anleitung von TPO

    • Denkmal für die Opfer des Khmer Rouge Regimes (For Those Who Are No Longer Here) im Tuol Sleng Genozidmuseum

    • Publikationen zu den Gerichtsurteilen und ECCC.

    In Fall von „Pka Sla“ bemühten sich der deutsche, amerikanische und schweizer Botschafter um die notwendigen Finanzmittel. Schließlich kam eine gemeinsame Finanzierung durch US-AID, DEZA und die deutsche Seite zu Stande. Ein Memorandum of Understanding (MoU) wurde mit der engagierten kambodschanischen Ministerin für „Kultur und Kunst“ unterzeichnet.

    Das Fazit von Adelbert Eberhardt lautet: „Die Deutsche EZ hat mit dieser Finanzierung ermöglicht, einem breiten kambodschanischen Publikum dieses grausame geschichtliche Epos in der jetzigen Zeit nochmals in einer einmaligen Darstellung in Erinnerung zu bringen. Für mich war es kulturell ein Höhepunkt, den wir in Kambodscha erleben durften. Insbesondere ist hervorzuheben, dass dieses Tanzdrama die Möglichkeit, die Schreckensherrschaft für die Nebenkläger*innen und (Welt)Öffentlichkeit) aufzuarbeiten“.

    Berührt und bewegt waren ebenfalls die Mitglieder der Delegation des Bundestagsausschusses für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AWZ) unter der Leitung von Dagmar Wöhrl (CDU/CSU). Auf eigenen Wunsch hat die Delegation an einer Probe des Tanzdramas teilgenommen. Nach der Probe hinterließen Gespräche mit Opfern der Zwangsverheiratung, der Choreographin, dem Komponisten, den Tänzer*innen einen tiefen Eindruck auf die Delegation. So war es auch wenig überraschend, dass die Delegation vorschlug, die Pka Sla-Gruppe nach Deutschland einzuladen. Wegen fehlender Finanzierung ist es dazu leider nicht gekommen. Für viele andere und mich steht fest, dass der deutsche Beitrag maßgeblich die Rechte und seelische Gesundheit von Nebenkläger*innen gestärkt haben. Auch der Schlussbericht der VN-Evaluationsgruppe über die Unterstützung des ECCC hebt die Förderung der Nebenkläger*innen und die positiven Wirkungen hervor (Poluda 2019).

Schlussbemerkungen

Trotz der Entsendung in ein „Touristenparadies“ lassen mich die dunklen Kapitel in der Geschichte Kambodschas nicht los. Natürlich erinnere ich mich gern an die freundlichen Menschen, das bunte wie quirlige Phnom Penh, die eindrucksvolle Tempelanlage Angkor Wat, die prächtigen Buddhastatuen und Pagoden, die von den Klängen alter Musikinstrumente begleiteten Aufführungen der Tempeltänzerinnen (Apsara), die flirrende Hitze über leuchtenden Reisfeldern und Flusslandschaften.

In Kambodscha habe ich mir wieder den mit mehreren Oscars ausgezeichneten Film „The Killing Fields“ (1984) über die Khmer Rouge und die tiefe Freundschaft zwischen einem amerikanischen Kriegsreporter der New York Times und seinem kambodschanischen Dolmetscher angesehen. Der Film beschreibt die Schreckensherrschaft der Khmer Rouge, seine Kindersoldaten, die Verzweiflung der Menschen bei ihrer Flucht und Vertreibung aus Phnom Penh (forced eviction), die von der amerikanischen Botschaft aus durchgeführten Evakuierungen und die Orte, wo die Toten für immer in Massengräbern verschwanden. Heute sind einige „Killing Fields“ Gedenkstätten und Mahnmale für gegenwärtige und kommende Generationen. Der bekannteste Ort sind die Killing Fields von Choeung Ek - gelegen in Nähe des Genozidmuseums (Foltergefängnis S-21), das viele Kambodschareisende nicht nur aus ihren Reiseführern kennen. Der Besuch dieser Orte erschüttert die Menschen immer wieder. Mit Unterstützung des GIZ/ZFD wurde an alternativen Konzepten für die Erinnerungsarbeit gearbeitet und im Genozidmuseum sogar ein oft genutzter Ruhe- und Meditationsraum für Gäste eingerichtet.

Zahlreiche Gedenkstätten können dank des fortgesetzten Engagements zahlreicher staatlicher und nichtstaatlicher Akteure sowie internationaler Beiträge von der kambodschanischen Bevölkerung und ausländischen Gästen aufgesucht werden.

Gleichzeitig wird im Land der Wunsch nach einem „Schlussstrich“ hörbar. Nichts soll die kollektive Psyche weiter belasten und die Bevölkerung in Opfer und Täter spalten. Bereits Ende der 90er Jahre sprach der noch amtierende Premierminister Hun Sen von einem „Loch“, in dem Kambodschas düstere Geschichte verschwinden sollte“ (Follath 2010: 197). So funktioniert es aber leider nicht.

Die gesellschaftliche und juristische Aufarbeitung des Völkermords, die Fortschreibung des Völkerrechts im Bereich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie die Wiedergutmachung und Versöhnung sind weder abgeschlossen noch wirklich abschließbar. Auch für Regierung, Polizei und Justizpersonal gilt, sensibel und offen für neue Gesetze und juristische Verfahren zu sein. Die Übergangsjustiz und ihre Protagonist*innen (transitional-justice-community) schreiben an neuen Kapiteln des Völkerrechts.

Trotz des schwindenden Interesses am ECCC-Geschehen, drängeln sich erfreulicherweise auch weiterhin Schulklassen und Gruppen aus Universitäten des Landes in den großen über 500 Sitzplätze umfassenden Gerichtssaal des ECCC mit den schusssicheren Glaswänden, die das Gericht vom Publikum trennen.

Zweifellos bleibt der ECCC und die VSS eine große Errungenschaft. Die Verurteilung von Zwangsverheiratungen als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ ist ein Meilenstein und relevant für alle Frauen und Mädchen in Konflikt- und Kriegsländern. Sie ist auch ein Beitrag zur Umsetzung der VN-Resolution 1325 (Oktober 2000) und der Ächtung sexueller Kriegsgewalt.

Oft stand der ECCC in der Kritik, weil die kambodschanische Seite vereinbarte Finanzierungsbeiträge nicht bereitstellte, die Gerichtsverwaltung nicht effizient genug war, das nationale juristische Personal als korruptionsanfällig gegenüber der Regierung oder als nicht ausreichend qualifiziert galt. Umso bedauerlicher ist, dass motiviertes kambodschanisches Jusitzpersonal nach Erwerb neuer Rechtskenntnisse und guten Englischkenntnissen u.a. wegen der niedrigen Gehälter im Vergleich zu den internationalen Jurist*innen Kambodscha verlasen haben.

Themen, die auch der Aufarbeitung bedürfen. Der Weg der Hoffnung auf (Gender)Gerechtigkeit, Heilung und sozialen Frieden ist weit und anstrengend. Denn viele Menschen suchen noch immer Wege, um aus der Unterdrückung und Armut herauszuwachsen, kämpfen für die Anerkennung ihrer Rechte (z.B. Landrechte), Gesundheit, Bildung und um nichts weniger als ein menschenwürdiges Dasein.

Vor allem sind es engagierte Jurist*innen, Wissenschaftler*innen, Publizistin*innen, Opferverbände und Nichtregierungsorganisationen, für die Wahrheitsfindung, juristische Aufarbeitung und Gerechtigkeit ein wichtiges Anliegen bleibt. Die relevante Arbeit der VSS/ECCC hat zum Ruf nach ihrer Überführung in eine Stiftung geführt.

Das Tanzdrama „Pka Sla“ versucht ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit künstlerischen Mitteln zu verarbeiten – basierend auf der Zusammenarbeit zwischen staatlichen Akteuren, dem ECCC und der VSS, Nebenkläger*innen, NROs, Künstler*innen und Gebergemeinschaft. Ihr Zusammenspiel hat nachhaltige Beiträge zur Aufarbeitung, nicht nur symbolischer Wiedergutmachung, Versöhnung und persönlichen Heilungsprozessen geleistet.

„Pka Sla“ hat sich in mein Gedächtnis eingegraben. Auch die Gänsehautmomente bei den Gesprächen mit Opfern von Zwangsverheiratungen, ihre persönliche Geschichte, die Aussagen und Köpersprache der Angeklagten (der zur Faust gehobene Arm von Khieu Samphan beim Verlassen des Gerichtssaals), die Besuche des Tuol-Sleng-Genozidmuseums und der Killing Fields von Chuoeng Ek. In der Rückschau zeigt sich, dass „Leben und Arbeiten in Kambodscha“ zu den bewegendsten und sinnstiftenden Erfahrungen gehören, die ich in der Entwicklungszusammenarbeit machen durfte. Last but not least: besonders erinnere ich mich an die respektvolle Zusammenarbeit aller, die an dem Reparationsprojekt „Pka Sla“ beteiligt waren.


Danksagung
Aus der Erinnerung heraus einen Beitrag zu verfassen, ist ein riskantes Unterfangen. Mein besonderer Dank gilt daher Björn Schildberg (BMZ), dem damaligen Landesdirektor Adelbert Eberhardt der GIZ und Thomas Trümper (GIZ, damalige Friedensfachkraft in dem ZFD-Programm „Versöhnung und Gerechtigkeit im Kontext des Khmer Rouge Tribunals“ der VSS/ECCC) für die ausführlichen Gespräche, wertvollen Hinweise und die Zeit, die sie sich für mich genommen haben.


Literaturhinweise
Rochelle Braaf: Sexual violence against ethnic minorities during Khmer Rouge Regime. Phnom Penh 2014

David Chandler: The Tragedy of Cambodian History. Chiang Mai 1999, ISBN: 9780300057522

Erich Follath: Die Kinder der Killing Fields. Kambodschas Weg vom Terrorland zum Touristenparadies. München November 2010 - ISBN: 9783421043870

Theresa de Langis u.a: “LIKE GHOST CHANGES BODY” A Study on the Impact of Forced Marriage under the Khmer Rouge Regime”.   Oktober 2014

Julian Poluda, Sipeth SIN, Sotheary YIM: Final Evaluation Report: Promoting Gender Equality and Improving Access to Justice under the Khmer Rouge Regime: Final Evaluation of the ECCC Non-Judicial Project (Phase 2) . Cambodia, September 2019

Peter Scholl-Latour: Der Tod im Reisfeld. Dreißig Jahre in Indochina. München 1979,
ISBN: 9783421019271

Loung Ung: Der weite Weg der Hoffnung. Berlin 2000 – ISBN: 9783596296996

Bophana Video über die Aufführung von „Pka Sla“: PHKA SLA DANCE DRAMA - YouTube

Website des ECCC  und Link zu UNAKRT

http://gbvkr.org/gender-based-violence-under khmer-Rouge/

 

 











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