ded-freundeskreis e.V.


Elmar Römpczyk

Sehen, zuhören, offenes Lernen – eine andere Nord-Süd-Kooperation ist möglich

Kolumbien steht seit Jahrzehnten vor der Frage: wieviel Krieg um Drogen wollen wir dem Land weiterhin zumuten? Wir: die Produzenten, die Händler:innen, die Konsument:innen …

das schien mir die Hintergrundfrage zu sein als die FARC , die stärkste Guerrilla-Formation Kolumbiens, einige Spitzenpolitiker und mich als Ausländer zum Gespräch einlud. Die FARC kannte mich, weil ich zwischen Amazonas und Kaffee-Zone, zwischen Karibik und der Grenze nach Ecuador unterschiedliche Umweltprogramme im Namen der GTZ (heute GIZ ) betreute. Und damit landete man automatisch auf dem Bildschirm der FARC .

Die deutsche Botschaft ermutigte mich, dorthin, nach San Vicente, zu reisen und mich an der Debatte zu beteiligen. In der Botschaft wünschten sie nur eine anschließende (politische) Bewertung. Die Botschaft kannte also meinen Aufenthalt.

Die FARC holte unsere Delegation am Flugfeld-Acker von San Vicente ab. In ihren Jeeps rollten wir zwei Stunden über Urwaldwege und Viehweiden nach Los Pozos, die Organisationszentrale der Guerrilla. Im Klartext: eine kleine Ansammlung von einfachen Stein- und Holzkonstruktionen mit Palmwedeldach, minimalen sanitären Anlagen, einem kleinen Kiosk – und einer hölzernenFARC-Comandantes in Los PozosHalbmondarena für schätzungsweise 600 Zuschauer. Sie bildeten die größte Gruppe: Bauern, Indigene, Studenten, Sprecher von Basisorganisationen aus diversen Landesteilen. Sie alle hatte die FARC in Bussen hierher transportiert.
Diesem Amphietheater gegenüber hatten die Guerrilleros für die zweite Gruppe eine überdachte, offene Versammlungshalle mit einem Podium, einigen Tischen errichtet. Der Platz der Comandantes.

Zum Stehmikrofon, bewacht von einer Guerrillera mit bereit gehaltener AK-47, sollte jedes Mitglied unserer Delegation vortreten und in genau sechs Minuten seine/ihre Sicht auf den Themenkomplex Drogen-Umwelt-Krieg-Frieden vortragen. Die Comandantes machten sich Notizen, stellten aber keine Fragen. Dafür gab es reichlich Zwischenrufe und meist Pfiffe vom Amphittheater. Zwischen jeden der Behördenvertreter aus Bogotá schob die Dramaturgie einen oder mehrere Vertreter der eingeladenen Auditoriums-Gruppen. Insgesamt kam es daher zu über 40 Wortbeiträge, die sich - mit kleinen Pausen garniert - von 9.00 morgens bis etwa 18.00 Uhr hinzogen. Zwangsläufig kam ein sehr bunter Salat an Beiträgen und Einwürfen zustande, von der UN-Agenda 21 zur nachhaltigen Entwicklung und der Konvention zum Schutz der Artenvielfalt bis zu den punktuellen Problemen einer Frauenselbsthilfegruppe in der Kaffeezone von Armenia und Bedrohungsängsten der indigenen Gruppen in Amazonien an der brasilianischen Grenze. Die Regierungsvertreter hatten aus rein zeitlichen Gründen kaum die Chance zu mehr als plakativen Absichtserklärungen und selbst die gingen zum Teil im Lärm des Auditoriums unter.

Nach dem Umweltminister und den Gouverneuren schob ich mich selber an der Guerrillera vorbei ans Mikro. Mit dem ausländischen Gast ging man etwas gnädiger um, immerhin waren auch meine Anmerkungen eher plakativ, etwa so:  „Die europäischen Gesellschaften stehen dem Plan Colombia der USA äußerst kritisch gegenüber, daher ist keine Bereitschaft vorhanden, Umweltmaßnahmen in Kriegsgebieten zu unterstützen. Die europäischen Institutionen sind allerdings sehr wohl bereit, an der nachhaltigen Bewirtschaftung der kolumbianischen Wälder mitzuarbeiten (etwa Amazonas), an der Modernisierung der Wasserpolitik, an Fragen alternativer Energiegewinnung und nicht nur an Fragen grünen Umweltschutzes, sondern – bei 80% städtischer Bevölkerung – auch am städtischen Umweltschutz“. Bei all dem sei Umweltberatung für uns Europäer:innen immer eine Frage des Zusammenspiels von ökologischen, sozialen und ökonomischen Faktoren, aber zwangsläufig auch von kulturellen und methodischen Fragen.

Erst abends beim „politischen Kamingespräch“ nur mit den Comandantes kam so etwas wie ein fachlicher Dialog zustande und ich konnte selber auch den breiten Kreis meiner Mitarbeiter:innen und Kollegen:innen zur Fortbildung für FARC-Mitarbeiter:innen anbieten. Immerhin verwaltete die FARC in Eigenregie ein Gebiet von der Größe der Schweiz. In diesem Gebiet fanden sich durchaus ökologisch und entwicklungspolitisch interessierte FARC-Bürgermeister….

Mein Leben in der EZ. Mich auf solche Ausflüge, wie zur kolumbianischen Guerrilla einzulassen, hatte natürlich eine lange Vorgeschichte. Nach diversen, faszinierenden Tramp-Touren durch die arabische Welt, wurden zwei ASA-Einsätze zur ersten zarten Annäherung an entwicklungspolitische Fragen: 1968 Indonesien; 1970 Venezuela. In Indonesien endete eine lange Bahnfahrt durch Thailand, Malaysia und Singapur bei einer indonesischen Familie der Oberschicht in Bandung. Aber genau diese Familie hat durch ihre Großzügigkeit ganz entscheidend geholfen, die vielen Gesichter von Land und Leuten der tausende Inseln (von Bali über Borneo und Jawa bis Sumatra) kennenzulernen und ein bisschen zu verstehen (ASA als offene Schule). Der Unterschied zu ASA-Venezuela bestand dann im eigenen spontanen Einsatz in einem Rancho in Caracas (Hausbau), also tätige Mithilfe. Dies erlaubte mir einige Einblicke in eine klassenüberwindende Erwachsenenbildung. Als Ergebnis lag dann etwas später meine entwicklungspolitische Diplomarbeit vor („Erwachsenen-Bildung als Faktor des Sozialen Wandels“).

Durch beide ASA-Aufenthalte war das Interesse an Nord-Süd-Fragen entscheidend geweckt und entwickelte seinen eigenen Werdegang: Lateinamerika-Referent der EZE; UNESCO-Junior in Peru und später DED-Beauftragter in Peru (1979-1981). Ich erinnere mich, wie unter dem Druck der Cocain-Präsidenten in Bolivien, Entwicklungshelfer:innen zu uns nach Peru fliehen mussten. Das Ende der Pinochet-Diktatur konnte ich 1989/90 selbst mitfeiern und einen Beitrag zum Wiederaufbau demokratischer Verhältnisse als Vertreter der Friedrich Ebert Stiftung (FES) in Chile mitgestalten – vor allem durch Stärkung der Zivilgesellschaften und der Indigenen im Süden, deren Lebensraum bis heute völlig inakzeptabel ausgebeutet und zerstört wird. Über diese Erfahrungen und anschließend über die kolumbianischen hinaus konnte ich mich dann als Consultant für Regionalentwicklung in Haiti nur noch das unglaubliche Korruptionsniveau der dortigen Staatsführung beeindrucken.

Zum Abschluss meiner EZ-Laufbahn war ich dann noch einige Jahre für die FES in den baltischen Staaten als Büroleiter tätig, um dort beim Aufbau demokratischer, sozialer, ökologischer Strukturen mitzuhelfen. Hier war erheblich mehr an „Entwicklungshilfe“, an Transformation aus sowjetischer politischer Kultur hinüber in die westeuropäische erforderlich als ich es mir je in Chile oder Kolumbien vorstellen konnte. Wir haben regelmäßige politische Dialoge zwischen den drei Balten und Deutschland ebenso organisiert wie Beratung und Kooperation zwischen baltischen Ökobauern und denen in der Altmark. Ein bis heute wichtiger Schwerpunkt in den drei Ländern wurde der Bereich „erneuerbare Energien“ und Abkehr von der Atomenergie (Litauen).

Aber fünf Jahre Baltikum waren zu kurz, um das russische Energiemonopol nachhaltig zu schwächen. Estland war dabei entwicklungspolitisch der mit Abstand interessantere Partner – nicht zuletzt wegen seiner skandinavischen DNA. Gesellschaft und politische Elite sind nicht mit dem Nachbarn Lettland zu vergleichen und schon gar nicht mit hochkorrupten Staatsführungen in Ungarn oder Rumänien. Letztere belasten entsprechend das Interesse an entwicklungspolitischer Zusammenarbeit des globalen Südens mit der EU. Dabei liegt der Ausweitung von Korruption und mafiösen Strukturen in Osteuropa (einschließlich Ukraine oder Georgien) ein verkrustetes Verhältnis zum Thema „Entwicklung“ bei den westeuropäischen Eliten wie in der jahrzehntelangen politischen Kultur der USA zugrunde.

Ein bisschen „Entwicklungshilfe“ konnte in meinem Fall möglicherweise dort geleistet werden, wo Gelegenheit bestand, Personen aufzubauen oder darin zu unterstützen, Entwicklungen der eigenen Gesellschaft im Sinne von Buen vivir, auch über unser eigenes Engagement hinaus, abzusichern (Anm.: nicht das „buen vivir“, das mit „gut leben“ übersetzt wird – sondern mit „richtig leben“).

Meine sehr unterschiedlichen Erfahrungen haben mir zumindest gezeigt, dass Entwicklungspolitik sehr selten etwas mit Freihandelsabkommen zu tun hat und auch nicht mit Palmölplantagen auf Borneo oder in Brasilien, damit unserem Diesel „Bioenergien“ beigemischt werden können. Ein zentraler Punkt sinnvoller Entwicklungspolitik hat dagegen sehr viel mit einem starken Wandel unseres eigenen Konsumverhaltens und der nachhaltigen Nutzung von Rohstoffen im globalen Süden wie im globalen Norden zu tun. Packen wir´s an!

(all das etwas ausführlicher auf meiner website:   https://www.elmar-roempczyk.de/ )

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